Das ökonomische Standardmodell geht davon aus, dass Individuen rational handeln, um ihren individuellen Nutzen zu maximieren – der Mensch ist also nicht besonders gut. Dieses Modell ist in den letzten Jahren zunehmend in Kritik geraten. Besonders die experimentelle ökonomische Verhaltensforschung stellt die Grundannahmen der Rationalität und der Nutzenmaximierung in Frage. Ich finde (ganz überwiegend) zu unrecht.
Ein berühmtes Experiment der verhaltensorientierten Ökonomik besteht im Teilen von Kuchen. Es funktioniert wie folgt: Zwei zufällig ausgewählte Probanden – die sich nicht kennen und auch planmäßig nicht wieder mit einander spielen – werden aufgefordert einen Kuchen zu teilen. Entsprechend der Aufteilung des Kuchens gibt es in dem Experiment eine echte Auszahlung für die beiden Probanden. Der erste Proband schlägt eine Aufteilung des Kuchens vor. Wenn der zweite Proband diese akzeptiert, ergibt sich eine Auszahlung entsprechend der vorgeschlagenen Aufteilung. Der zweite kann die Aufteilung auch ablehnen; dann verfällt der Kuchen – es gibt keine Auszahlung. Als Ergebnis zeigt sich, dass Aufteilungen, die als unfair empfunden werden, häufig abgelehnt werden. Dies ist in gewisser Weise irrational, da sich der ablehnende Proband schlechter stellt als wenn er die Aufteilung angenommen hätte. Die Frage ist, ob wir daraus schließen können, dass Menschen nicht ökonomisch rational handeln und ihren eigenen Nutzen maximieren, sondern Gerechtigkeit und Fairnessvorstellungen folgen.
Tatsächlich ist das Experiment aber sehr lebensfern. In der Realität tätigen wird nicht einmalige Geschäfte mit nur einem Geschäftspartner. Wenn wir Güter kaufen, können wir das sofort tun oder später. Wir können ein ganz bestimmtes Gut kaufen oder ein bezüglich Qualität oder Ausstattung etwas Anderes. Bei vielen Käufen wissen wir zunächst nicht, was ein angemessener Preis ist. Dabei gilt: je seltener wir einen Gegenstand kaufen, desto weniger genau können wir abschätzen, ob ein Preis angemessen ist. Bei Brötchen ist uns der angemessene Preis klar und wir müssen in der Regel nicht zum Vergleich in eine zweite Bäckerei gehen. Beim Kauf eines Hauses werden wird nicht das Erstbeste kaufen, sondern über mehrere Monate Preise und Qualitäten vergleichen. Wenn wir also Preise oder Aufteilungen ablehnen, die wir als unfair empfinden, zeigt dies nicht, dass wir irrational handeln. Vielmehr glauben wir, es gäbe bessere Lösungen, nach denen wir suchen möchten. Dies ist durchaus sehr rational und völlig kompatibel mit der Maximierung des eigenen Nutzens.
Wenn wir nicht das Experiment sondern das Leben betrachten, so zeigt sich , dass Menschen unfaire Lösungen zwar ablehnen, aber nicht irrational handeln sondern weil es in der Regel faire und für sie bessere Lösungen (mit höherem Nutzen) gibt. Dies gilt vor allem bei marktwirtschaftlichen Verhältnissen, in denen es konkurrierende Angebote gibt. Es gibt aber auch Güter, bei denen der Preisvergleich nicht so richtig funktioniert. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn einzelne Anbieter eine Monopolstellung haben, wie etwa bei bestimmten Netzdienstleistungen. Der Vergleich von Preisen wird auch sehr schwierig, wenn Produkte sehr komplex werden, so dass verschiede Varianten nicht mehr miteinander vergleichbar sind. Dies war zum Beispiel bei bestimmten Finanzprodukten der der Fall. In beiden Fällen zeigt sich, dass die Anbieter der Produkte nicht etwa besonders faire, sondern besonders unfaire Preise verlangen. Aufgrund der fehlenden Vergleichsmöglichkeit sind die Kunden hier in Gefahr diese unfairen Preise akzeptieren zu müssen. Deshalb ist in diesen Fällen eine staatliche Regulierung sinnvoll, da Menschen ihren Eigennutzen sogar auf Kosten anderer maximieren und nicht weil sie sich so besonders fair verhalten. Als Fazit können wir also festhalten: Menschen maximieren ihren Nutzen, damit sind sie tatsächlich nicht besonders gut. Das macht aber nichts, denn der Wettbewerb sorgt dafür, dass sich keine unfairen Lösungen durchsetzen. Nur In einigen Fällen braucht es darüber hinaus staatliche Regulierung.