Kultur der Selbstständigkeit statt Gründerflaute

Gastbeitrag von Dr. Sascha Genders, LL.M. Eur.
Die Situation ist eindeutig: Das Gründungswachstum erlebt zurzeit bundesweit wahrlich keinen Boom, wie nicht zuletzt die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. Der Gründungssaldo als Differenz aus Gewerbeanmeldungen und –abmeldungen im Jahr 2014 war mit 28.800 so niedrig wie lange nicht. Noch drei Jahre zuvor war der Zuwachs mit über 100.000 dreieinhalb Mal so hoch. Die Anzahl der Gewerbeanmeldungen pro Jahr hat sich in dieser kurzen Zeit um fast 100.000 Neuanmeldungen verringert, gegenüber dem Vorjahr 2013 immerhin um 4,7 Prozent. Ohne Zweifel ist Gründung nicht gleich Gründung – so gibt es auch verschiedene Indikatoren, um das Gründungsgeschehen zu messen. In 2014 ist zum Beispiel besonders bei Kleinunternehmen ein starker Rückgang zu verzeichnen, bei Betrieben mit größerer wirtschaftlicher Bedeutung ist er geringer. Auch ist in den Daten des Bundesamtes nicht die Anzahl der großen Schar der Freiberufler erfasst, deren Bestand in den letzten Jahren stetig zunimmt – Schätzungen gehen von zurzeit rund 1,27 Mio. Selbstständigen in freien Berufen aus. Aber erkennbar ist in der mittelfristigen Sicht: Die Gründung einer eigenen beruflichen Existenz ist in Deutschland für immer weniger Menschen eine Alternative. Zugleich besteht gerade im internationalen Kontext durchaus Luft nach oben.

Der Rückgang des Gründungswachstum hat klare Folgen: Deutschland ist wie kein anderes Land Nutznießer eines starken Mittelstands. Dieser Mittelstand profitiert nicht zuletzt von einer aktiven Gründerszene. Junge Unternehmen bringen neue innovative Ideen in Märkte, ihr Pioniergeist prägt ganze Branchen, sie schaffen aber auch zugleich den Anreiz für etablierte Unternehmen, sich stetig weiterzuentwickeln und besser zu werden. Nicht zuletzt sind gerade junge Unternehmen vielfach auch Kunden mittelständisch geprägter und lokal agierender Betriebe, man denke nur an Logistikdienstleister, Werbe- und IT-Agenturen oder Beratungsunternehmen, die von der Nachfrage nach ihren eigenen Produkten durch Existenzgründer profitieren. Die positiven Folgen für Steuersysteme und Sozialstaat seien unbeachtet.

Warum ist die Situation wie sie ist? Dass in Folge des demografischen Wandels mittelfristig die Anzahl an Gründungen abnimmt, da schlicht der Pool potenzieller Pioniere abnimmt, erscheint logisch. Eine weiterer Erklärungsansatz wie die bundesweit positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, der Wettbewerb um Fachkräfte sowie die allgemein robuste Konjunkturlage ist gleichfalls prägend: Gilt doch der Grundsatz: in Krisenzeiten steigt die Anzahl der Gründungen und vice versa. Aber Gründungen aus der „Not heraus“ sind vielfach nicht diejenigen, auf die es final das Augenmerk zu legen gilt. Viel größere Hürden und somit der dritte und wesentliche Grund für die vorliegende Entwicklung und die aktuelle Gemengelage sind hausgemachte Dinge: Laut Gründerreport des Deutschen Industrie- und Handelskammertags DIHK e.V. geben viele der Gründer in wissensintensiven Branchen an, der nicht ausreichende Zugang zu Eigenkapital sei eines der Haupthemmnisse. Auch die Möglichkeiten der Fremdkapitalfinanzierung werden genannt. Dabei könnten auch regulatorische Maßnahmen für die Kreditwirtschaft eine mittelstands- und existenzgründungsfreundliche Regulierung behindern. Auch für die Potenziale von neue Finanzierungsformen, zum Beispiel durch den Schwarm der Internetgemeinde, ist Gesetzgebung ohne Zweifel von entscheidender Bedeutung. Weitere Hürden für Gründer sind laut DIHK-Gründerreport 2014 der unterschätze Vorlauf bis zur Aufnahme der Tätigkeit bis hin zu bürokratischen Herausforderungen. Und genau hier gilt es noch stärker als bislang anzusetzen. Hier kann durch die Politik im Gegensatz zu den Faktoren Demografie und Konjunktur direkt und vor allem mit hoher Treffergenauigkeit von Maßnahmen  positiv Einfluss genommen werden. Erfreulicher Weise hat die Politik dies zum Teil erkannt. Zu nennen ist die Initiative „Neue Gründerzeit“ der Bundesregierung. Auch auf Ebene der Landesregierungen gibt es erste Ansätze, die Deutschland zu einem Gründerland machen sollen. Auch die Öffentlichkeit „entdeckt“ das Thema Existenzgründung neu. Den Begriff Start-Up hört und liest man immer öfters in den Medien, einzelne TV-Formate greifen gar das Thema auf. Zu guter Letzt bedarf es sicherlich auch eines Mentalitätswandels in der Gesellschaft insgesamt: Unternehmerisches Scheitern von Start-Ups und Existenzgründern darf nicht verteufelt werden, sondern muss als Normalität einer funktionierenden Gründerszene akzeptiert sein. Anstelle der Stigmatisierung denjenigen, die vielleicht zunächst scheitern sollte vielmehr eine Kultur der „zweiten Chance“ etabliert werden – damit diese unternehmerischen Pioniere eben dann mit der zweiten oder dritten Idee erfolgreich sind.

Aber: Offen bleibt, inwieweit aufgrund der Vielzahl der wirtschaftspolitischen Herausforderungen die Prioritäten richtig gesetzt werden können und wie rasch Maßnahmen realisiert werden. Geschwindigkeit und Intensität sind die Schlagworte. Ferner ist insbesondere zu beachten, dass neue bürokratische Auflagen für Unternehmen im Regelfall immer auch Existenzgründer belasten. Hier gilt es daher gleichfalls das Augenmerk darauf zu legen.

Insgesamt ist es wichtig, das Thema Existenzgründung in den Fokus zu rücken. Selbstständigkeit muss eine echte Alternative zur Erzielung eines Erwerbseinkommens sein. Durch passende Rahmenbedingungen – angefangen durch die Vermittlung von Unternehmerwissen in den Schulen, über einheitliche Anlauf- und Beratungsstellen für Existenzgründer, bis hin zu passenden rechtlichen, steuerlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen – gilt es noch stärker als bislang eine echte Kultur der Selbstständigkeit zu schaffen!


Dr. Sascha Genders ist Bereichsleiter Standortpolitik sowie Existenzgründung und Unternehmensförderung der Industrie- und Handelskammer
(IHK) Würzburg-Schweinfurt.

 

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