Gastbeitrag von Dr. Sascha Genders, LL.M. Eur.
Es gibt Herausforderungen, die sieht man kommen, manche früher, andere später. Je eher dies geschieht, desto größer die Chancen, sie zu meistern. Drei nicht unerheblichen Themen der jüngeren Vergangenheit – Banken-, Finanz- und Staatsschuldenkrise, Energiewende und aktuelle Flüchtlingsbewegung – ist eines gemeinsam: Das scheinbar kurzfristige Auftreten durch den Zusammenbruch der Lehman Brothers, das Unglück in Fukushima oder die Kriege in Syrien, Libyen sowie anderen Regionen des Nahen Ostens. All diese Auslöser der genannten Herausforderungen kamen relativ ad-hoc zu Tage, wenngleich die wahren Ursachen sicherlich tiefer liegen.
Andere Belange, die wenngleich eine ebenso gravierende Bedeutung haben, kommen eher stillschweigend daher. Medial und leider auch politisch führen diese Themen oftmals ein stiefmütterliches Dasein wie zum Beispiel unterschiedliche Auswirkungen der demografischen Entwicklung. Kaum oder unangemessen gering beachtet sind deren Folgen auf die Struktur der Unternehmerschaft und durch den Alterungsprozess ebenda auf anstehende Betriebsübergaben beziehungsweise Unternehmensnachfolgen. Wir alle werden bekannter maßen weniger und älter – auch Zuwanderung wird dieses Schrumpfen der Bevölkerung im Übrigen allenfalls verzögern, wenngleich nicht den Alterungsprozess. Die finalen Folgen für die Gruppe der Selbstständigen, Betriebsinhaber und Firmenchefs sind es, die nicht zuletzt für unseren Wirtschaftsraum eine enorme Rolle spielen. Hier droht Ungemach. Ein Sturm mit verherrenden Wirkungen zieht auf, und kaum jemand nimmt Kenntnis davon, wenngleich die ersten Ausläufer schon heute spürbar sind.
Immer mehr Unternehmer kommen ins Rentenalter. Die Anzahl Selbstständiger unter 45 Jahren nimmt in den letzten Jahren stetig ab. In Bayern ist zum Beispiel bereits mehr als ein Drittel aller Selbstständigen zwischen 45 und 55 Jahren alt ist. 17,7 Prozent sind bereits über 60 Jahren und im Gegensatz nur 12,9 Prozent unter 35 Jahren [1]. Die Alterung wird zunehmend dazu führen, dass sich die Altersstruktur Selbstständiger nach oben verschiebt, analog zur Entwicklung der Gesamtbevölkerung.
Mit der Alterung sowie dem zu erwartenden Rückgang der Bevölkerung einher geht auch die geringer werdende Anzahl an potenziell Selbstständigen. Von heutiger Sicht ausgehend, wird es zukünftig weniger Firmenchefs geben. Die Unternehmensnachfolge im Zuge des Generationenwechsels ist hierbei immer ein von zwei Seiten zu betrachtendes Thema: Einerseits mangelt es an Gründungsinteressierten in Deutschland, die Anzahl an Nachfragen nach Übernahmen nimmt ab. Auf der anderen Seite altert die aktuelle Unternehmerstruktur, wodurch sich die Angebote potenzieller Übergaben erhöhen. Es gibt somit stets mehr Betriebe, die zur Übergabe stehen – sei es insbesondere des Alters wegen oder ungeplant in Folge von Krankheit oder Tod. Angebot und Nachfrage driften auseinander.
Nach Erhebungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) e. V. verzeichnete die IHK-Organisation noch im Jahr 2009 ein Verhältnis von 4.871 beratenen Senior-Unternehmern zu 8.417 potenziellen Nachfolgern [2]. Auf einen Übergabewilligen kamen somit 1,7 Kandidaten. Im Jahr 2011 bereits war das Verhältnis nahezu ausgeglichen, 2014 gibt es pro Übergabe nur noch 0,7 Kandidaten. Eine deutliche Entwicklung in enorm kurzer Zeit. Während sich die Anzahl der Senior-Unternehmen deutlich erhöhte auf zuletzt 5.943 (+22,0 Prozent in fünf Jahren), sinkt die Anzahl Nachfolgewilliger auf 4.214 (-49,9 Prozent in fünf Jahren) im Jahr 2014. Die Suche nach der oder dem Richtigen gestaltet sich immer schwieriger, nicht zuletzt auch mangels Vielfalt. Da wundert es wenig, wenn die Suche nach einem Nachfolger mit die größte Hürde für eine erfolgreiche Übergabe darstellt.
Es steht zu erwarten, dass diese Entwicklung weitergeht und sich sogar beschleunigt. Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) hat für Jahre 2014 bis 2018 eine Anzahl an 135.000 Betrieben im Bundesgebiet beziffert, die potenziell zur Übergabe anstehen. Für die noch ausstehenden Jahre 2016 bis 2018 entspricht dies etwa einer Anzahl von 81.000 Unternehmen. Betroffen sind hiervon insgesamt 1,2 Million Beschäftigte. Heruntergerechnet auf jeden Arbeitstag entspricht dies in etwa 108 Betrieben und rund 1.600 Beschäftigten bundesweit.
Die Herausforderung Unternehmensnachfolge ist hierbei oftmals für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) schwierig. Motor der deutschen Wirtschaft ist der Mittelstand, oftmals familiengeführt: Der Großteil der Betriebe gehört diesem Segment an, mehr als die Hälfte aller Beschäftigten arbeitet dort, mehr als acht von zehn Auszubildenden beginnen ihre Beschäftigung dort und letztlich wird jeder zweite Euro hierzulande von KMU erwirtschaftet [3]. Aber genau hier scheint es in Sachen Nachfolge problematisch zu sein: Der Großteil der Fälle, bei denen die Übergabe zeitnah im Raum steht kommt hierbei ebenda aus diesem breiten Feld der KMU. Laut DIHK-Nachfolgereport liegt der Anteil der Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern bei jüngst 61,2 Prozent, weitere 27,3 Prozent haben zwischen 10 und weniger als 50 Mitarbeitern.
Es ist von enormer Bedeutung, die möglichen Folgen scheiternder Unternehmensübergaben mit hoher Priorität im politischen Diskurs zu verankern. Zwar existieren bereits vereinzelte Ansätze wie die Unternehmensnachfolgebörse „Nexxt Change“ des Bundeswirtschaftsministeriums mit dem Ziel, das Matching zwischen Übergabewilligen und Nachfolgern zu vereinfachen. Auch die Wirtschaftskammern in den Regionen leisten hier vielfach einen enormen Beitrag. Und auch die Politik hat vereinzelt auf die Schwäche der Nachfrageseite reagiert und setzt auf die Facetten der Digitalisierung, um innovative Start-Ups zu fördern. Diese Ansätze sind gut und richtig, reichen aber bei Weitem nicht aus und lösen die Probleme nicht. Ohne Zweifel ist das Thema Start-Up zurzeit mehr en vogue als vor wenigen Jahren. Dies ist gut und wichtig, und innovative und durch den Digitalisierungstrend getriebene Start-Ups sind für eine zukunftsfähige Volkwirtschaft von enormer Bedeutung, nur lösen diese wichtigen Gründungen nicht die Herausforderungen, vor der zum Beispiel die vielen familiengeführten Betriebe aus Gastronomie, Handel oder dem Verkehrsgewerbe aufgrund in naher Zukunft erforderlicher Betriebsübergaben stehen.
Bewältigungen des Problems wiederum sind nur dadurch zu erarbeiten, dass per se wirtschaftspolitisch sinnvolle Rahmenbedingungen gestaltet werden: Für eine Gründungskultur und Gründerklima sowie somit einer Teillösung der Nachfolgethematik bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes. Per se bedarf es einerseits neuer Gründer, die für den Schritt in die Selbstständigkeit auch durch Übernahme eines Betriebes eine Alternative darstellt. Des Weiteren darf das Schreckgespenst der Überregulierung nicht Einzug halten um Unternehmertum im Kern zu ersticken. Geplante Vorhaben des Koalitionsvertrags wie Auskunftspflichten für Beschäftigte in Bezug auf Entgeltstrukturen, Rückkehrrechte bei Teilzeit, Arbeitsmarktregulierung zu Werkverträgen oder die Anti-Stress-Verordnung führen de facto zu einer Einschränkung des Unternehmertums. Förderlich für die Stärkung einer Gründerszene, an der es in Deutschland gerade im Vergleich zu anderen Industrienationen, in hohem Maße mangelt – so ein Ergebnis des Global Entrepreneurship Monitor [4] – dürften diese Konzepte neben einer Vielzahl weitere Regelungen sicherlich nicht sein. Auf der anderen Seite bedarf es wie erwähnt dem Bemühen, die Entwicklungen rund um die Unternehmensnachfolge in den Fokus zu rücken und entsprechende Beschlüsse zu fassen. Die Belastung mit der Erbschaftsteuer und insbesondere die Unsicherheit über ausstehende gesetzliche Regelungen sind eine klare Positionierung, die zunächst die Angebotsseite bei der Unternehmensnachfolge treffen und das zurzeit nicht unbedingt positiv.
Final gilt mit Blick auf den stärker werdenden Sturm in Hinblick auf die Risiken nicht zu meisternder Unternehmensübergaben für den Wirtschaftsstandort und der nach wie vor möglichen Lösungsansätze politischer Entscheider getreu der Aussage von Goethe zu schreiben: „Hoffnung gießt in Sturmnacht Morgenröte!“
Dr. Sascha Genders ist Bereichsleiter Standortpolitik sowie Existenzgründung und Unternehmensförderung der Industrie- und Handelskammer
(IHK) Würzburg-Schweinfurt.
Fußnoten
[1] StMWi (2015): Bayerischer Mittelstandsbericht 2015, Bayerisches Staatsministerium für
Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie: München.
[2] DIHK (2015): Rekordhoch an Senioren, Rekordtief an Nachfolgern, DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2015, Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) e. V.: Berlin.
[3] BMWi (2014): Wirtschaftsmotor Mittelstand – Zahlen und Fakten zu den deutschen KMU, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Berlin.
[4] GEM (2015): Country Profiles, www.gemconsortium.org/country-profiles, Global Entrepreneurship Research Association: London.