von Achim Georg
Auf der Grundlage der sogenannten Charta von Athen wird in der gegenwärtigen Stadtplanung primär das Ziel verfolgt, die vier Lebensfunktionen Wohnen, Erholung, Arbeiten und Verkehr räumlich zu trennen.
Verschärfte Umweltschutzbestimmung und -auflagen verstärkten die Nutzungstrennung, sodass bis heute Produktion hauptsächlich in Industrie- und Gewerbegebieten stattfindet. Die zunehmende Dezentralität, Emissionsneutralität und neue Fertigungsmethoden verbessern jedoch die „Verträglichkeit“ von Fabriken. Damit müssen stadtplanerische Restriktionen überdacht werden. Die Diskussion und die Verabschiedung der neuen Planungskategorie „Urbanes Gebiet“ geht in diese Richtung. Die Möglichkeiten durch urbane Produktion und Smart Factories sind aber wesentlich weitreichender und könnten Impluse für eine neue, zukunftsfähige und moderne Stadt- und Quartiersentwicklung darstellen. Und auch für die Immobilienwirtschaft ergeben sich neue Chancen. Gerade bei großen neuen Wohnbauprojektentwicklungen sowie bei Konversionsprojekten kann Arbeiten und Wohnen immer mehr zusammengedacht werden – mit positiven Effekten auf die Quartiersentwicklung.
Städte sind in aller Regel Standorte für Dienstleistungen, Wissen und Forschung sowie für die die kreative Klasse. Sie profitieren insofern stark vom Trend zur Dienstleistungs- und Wissensökonomie. Zahlreiche Städte in Deutschland sind aber noch bedeutende Industriestandorte, wenngleich anhaltende Suburbanisierungsprozesse, nicht nur bei Wohnen, sondern auch im Hinblick auf das Gewerbe seit Jahrzehnten festgestellt werden. Im Umland der Städte sind eher Flächen für Fabriken vorhanden und die Preise meist günstiger als in der Kernstadt.
Ziel einer gewerblichen Wertschöpfung im urbanen Umfeld ist jedoch eine Produktion, die so schonend und verträglich ist, dass sie sogar im städtischen Umfeld stattfinden kann, und zwar zum Vorteil aller Beteiligten – Unternehmen und Mitarbeiter sowie der Stadt und ihrer Bürger. Grundlage einer urbanen Produktion ist somit die Symbiose zwischen Produktion und städtischem Umfeld. Im Rahmen dieser Symbiose gilt es, den positiven Beitrag der Produktion zur Stadt und ihren Teilsystemen zu optimieren und nicht nur negative Auswirkungen – wie bisher – zu minimieren. Urbane Produktion setzt auf eine fortschreitende Harmonisierung von Arbeiten und Wohnen, Leben, Gesundheit und Freizeit und ist in aller Regel smart.
Aus der Stadt für die Stadt
Bisher zeigt sich – wie erwähnt – ein Trend, dass Produktion aus der Stadt ins Umland abwandert. Nicht umsonst gehören auch deswegen die Umlandkreise der großen Metropolen zu den wirtschaftsstärksten Regionen in Deutschland. Städte aber bieten mit ihrem Fachkräftepotenzial, der Nähe zu Kunden und Konsumenten, dem Zugang zu Know How und Wissen sowie der vorhandenen verkehrlichen, sozialen und kulturellen Infrastruktur Vorteile für die Ansiedlung von Unternehmen (Agglomerationsvorteile). Umgekehrt sichert urbane Produktion Gewerbesteuereinnahmen und Kaufkraft und trägt zur Reduzierung von Pendlerströmen bei. Das Produzieren im urbanen Umfeld erfordert jedoch eine Reduktion von Emissionen und Stoffströmen, um unter anderem die Verkehrsbelastung nicht negativ zu beeinflussen und damit die urbane Lebensqualität nicht zu beeinträchtigen.
Die Nähe zum Absatzmarkt ermöglicht bei einer urbanen Produktion innovative Formen der kundenintegrierten Produktentstehung. Für eine Vielzahl von Produkten werden durch die entstehende räumliche Nähe zu den potenziellen Kunden individuelle Lösungen weiter unterstützt. Dazu tragen auch neue Produktionstechnologien wie der 3D-Druck bei. Neue Produktionstechnologien wiederum unterstützen die Herausbildung von internen und externen Produktionsnetzwerken (Micro Fabs, Rapid Prototyping-Werkstätten, etc.).
Familienfreundlichkeit von Städten
Im Prinzip ist es ökonomisch und ökologisch nicht vertretbar, viele Stunden durch die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu verlieren. Urbane Produktion bietet die Chance, dass Arbeits- und Wohnort näher zusammenrücken. Die Nähe der Arbeitsstätte zum Lebensumfeld der Mitarbeiter ermöglicht Patchwork-Verhältnisse, bei denen Mitarbeiter, dem Kundenbedarf folgend, in mehreren Unternehmen im Einsatz sind. Damit entsteht die Chance für eine Entgrenzung der bislang noch starren Arbeitszeitblöcke und festen Arbeitsorte. Ein flexibler Arbeitseinsatz wird nicht mehr als Manko, sondern als Chance für höhere Beschäftigungssicherheit, mehr persönliche Zeitsouveränität und eine bessere gesellschaftliche Teilhabe verstanden. In der Produktion entstehende Leerlaufzeiten können zukünftig für den Mitarbeiter sinnvoll genutzt werden. Teilzeitbeschäftigungen sind leichter möglich. Der Zugewinn an Zeit kann für Familie, Ehrenamt, Sport, Gesundheit, Pflege oder auch Freizeit eingesetzt werden kann, zurück. Diese Entwicklung erfordert allerdings ein Umdenken auf Seiten der beteiligten Akteure, wie Unternehmen, Arbeitnehmer, Kommunen sowie Gewerkschaften. Urbane Produktion führt in der beschriebenen Konsequenz somit zu einem deutlichen Wandel der sozioökonomischen Rahmenbedingungen. Diesbezüglich steht die Wirtschaft und Gesellschaft erst am Anfang einer spannenden Entwicklung.
Lokal produzieren, lokal konsumieren
Mit dem zunehmenden Umweltbewusstsein von Konsumenten für Ressourcenverbrauch und Klimaschutz (z. B. CO2-Fußabdruck eines Produktes) steigt auch die Nachfrage nach lokal produzierten Gütern. Im Bereich der Landwirtschaft haben regionale Produkte bereits eine hohe Bedeutung. Der Ressourcenverbrauch in Produktion und Logistik wird zukünftig ein wichtigeres Verkaufs- und Marketingargument werden. Insbesondere für kleine Unternehmen ist eine lokale Produktion von Vorteil, da Transportkosten minimiert und Lieferzeiten besser kalkuliert werden können. Effizienz und Stadtverträglichkeit produzierender Unternehmen werden durch neue umweltschonende und emissionsarme Fertigungstechnologien verbessert. Ein mehr an urbaner Produktion erhöht allerdings die Logistikanforderungen. Urbane Produktion muss daher mit innovativen städtischen Logistikkonzepten einhergehen. Auch im Bereich Abfall und Restwertstoffe ergeben sich durch urbane Produktion neue Möglichkeiten. Unternehmen und städtische Betriebe können durch die räumliche Nähe und kurzen Wege (kleine Wertstoffkreisläufe) viel besser zusammenarbeiten.
Chancen für die Immobilienwirtschaft
Flächen im städtischen Bereich sind meist knapp und damit teuer. Zudem sind sie nicht oft, wie im Umland, in größeren geschlossenen Arealen vorhanden. Im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels wird die gewerbliche Flächennachfrage zunehmend kleinteiliger und höherwertiger. Dieser Trend zeigt sich auch in den Fabrikstrukturen. Diese weisen einen zunehmenden Büroflächenanteil auf und die eigentlichen Produktionsflächen werden tendenziell kleiner. Urbane Produktion meint daher auch nicht die Verlagerung von Massenproduktion in die Städte, sondern bezieht sich auf die sogenannten additativen Produktionsverfahren (Prototypen, Kleinserien, etc.).Hieraus ergeben sich für die Stadt auch Möglichkeiten, Fabrikstrukturen anstatt horizontal, vertikal über mehrere Stockwerke zu denken und auszurichten. Wertschöpfungsprozesse würden dann über räumlich verteilte Funktionsbereiche innerhalb der Gebäudestrukturen ablaufen. In diesem Zusammenhang müsste festgelegt werden, welche Produkte oder welche Produktionsprozesse für urbane Produktion überhaupt geeignet sind. Gewerbliche Projektentwickler und Investoren müssten zusammen mit Unternehmen neue Gebäudetypen entwickeln. Dadurch ergeben sich innovative Investitions- und Anlageklassen.
Da sich durch urbane Produktion die Trennung zwischen Industrie- und Misch- oder Wohngebieten zunehmend auflösen wird, kann bereits heute bei großen Projektentwicklungen und/oder Konversionsprojekten von ganz anderen Nutzungsmischungen wie bisher ausgegangen werden. Dies eröffnet der Immobilienwirtschaft ganz neue Chancen im Hinblick auf die städtebaulichen Qualitäten und Imagebildung von Wohn- und Stadtquartieren (Vermeidung von nutzungsrelevanten und sozialen Monostrukturen), dem Angebots- und Preisspektrum von Immobilien und nicht zuletzt der Risikominimierung durch Nutzungsmischung.
Think Thanks initiieren
Angesichts der aufgezeigten Herausforderungen und Chancen in Folge urbaner Produktion sind noch zahlreiche Aspekte und Fragen zu klären. Der zentrale Aspekt wird sein, wie sich die urbane sowie stadtverträgliche Mikrofabrik in das Stadtbild integrieren lässt. Hier können Think Thanks helfen. Im Rahmen dieser Diskussionsplattformen sollten Stadtplaner, Wirtschaftsförderer, Kammern und Unternehmen sowie die Immobilienwirtschaft nach Lösungen und Modellen für neue stadtökonomische Impulse und innovative Stadtentwicklung durch urbane Produktion und Smart Factories suchen.
Der Autor ist Achim Georg, Geschäftsführer von Georg Consulting Immobilienwirtschaft | Regionalökonomie und Kooperationspartner von ETR.
Der Beitrag ist auch in Xing erschienen.