Gerade jetzt zur Jahreswende sind die Prognosen der Wirtschaftsentwicklung häufig im Zentrum des öffentlichen Interesses. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen des hohen Interesses an diesen Prognosen werden die Prognostiker immer wieder für ihre Unfähigkeit gescholten. Eine besonders intelligente und eloquente Kritik hat Nikolas Taleb in seinem Buch der „Schwarze Schwan“ formuliert: Er vertritt die Auffassung, dass die Geschichte durch große zufällige Ereignisse getrieben wird und dass Prognosen deshalb nicht sinnvoll möglich und eigentlich auch nicht notwendig sind. Über den ersten Punkt kann man vielleicht geteilter Auffassung sein, jedoch scheint mir die Antwort bei dem zweiten Punkt eindeutig. Alle ökonomischen Akteure – der Staat, die Unternehmen und auch die Haushalte – können nicht auf Prognosen verzichten. So muss der Staat für das kommende Jahr eine Haushaltsplanung machen wobei dies ist nicht nur inhaltlich geboten ist, sondern auch gesetzlich vorgeschrieben. Für die Haushaltsplanung bedarf es einer Steuerschätzung und für diese müssen die gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten prognostiziert werden. Unternehmen treffen Investitionsentscheidungen für die sie die Entwicklung der relevanten Märkte über zum Teil sehr lange Zeiträume abschätzen müssen. Haushalte planen über zukünftige Arbeitszeiten, den Renteneintritt und größere Anschaffungen und müssen dazu Erwartungen über zukünftige Einkommen, Renten und Bedürfnisse bilden. Insofern gilt für alle: Die einzige mögliche Alternative zur Prognose heißt „nicht planen“.
Ökonomen verwenden für ihre Prognosen verschiedenste Modelle, die häufig kritisiert werden, weil sie nicht realistisch wären – dabei ist diese Kritik ebenso richtig wie unsinnig. Modelle sollen gar nicht realistisch, sondern nützlich zu sein. Eine berühmte Analogie von Joan Robinson vergleicht Modelle mit Landkarten, die auch kein realistisches Bild der Wirklichkeit zeigen, sondern die wichtigen Elemente der Wirklichkeit ausblenden um andere hervorzuheben. Dabei gibt es sehr verschiedene Landkarten, die unterschiedliche Dinge darstellen und weglassen: Auf der Straßenkarte fehlen Bäume und Häuser, auf der topografischen Karte fehlen die Straßen. Es gibt Karten, die hilfreich sind, um sich in Hamburg oder in Berlin zu bewegen, solche die helfen den Weg durch Deutschland zu finden und andere für die Weltmeere. Wie bei den Karten kommt es bei Modellen darauf an, für den jeweiligen Zweck die richtige Karte zu wählen. Es gibt Modelle, die den einzelnen Haushalt oder das einzelne Unternehmen abbilden und welche für die regionale, die nationale oder die globale Ebene. Niemand käme auf die Idee einer Weltkarte vorzuwerfen, dass sich einzelne Hamburger Straßen nicht identifizieren ließen. Von ökonomischen Modellen wird aber immer wieder gefordert die Welt vollständig abzubilden, obwohl dies ähnlich absurd ist, wie die Weltkarte mit einzelnen Straßen. Tatsächlich hätte ein alles abbildendes Modell den Sinn einer Landkarte im Maßstab 1:1.
Die Landkarte ist ein nützliches Mittel um sich von A nach B zu bewegen und sie hilft ungemein eine Prognose für die Reisezeit abzugeben. Dabei kommt niemand auf die Idee der Landkarte vorzuwerfen, dass sie nicht dazu beigetragen hätte, einen Stau vorherzusehen oder der Seekarte, dass auf ihr kein Taifun eingezeichnet ist. Dennoch werden die Planung des Autoreisenden durch den Stau über den Haufen geworfen und ein Schiff, das in den Taifun gerät, wird auch nicht planmäßig ankommen. Entsprechendes gilt für ökonomische Modelle, die helfen den normalen Ablauf vorherzusehen – aber sie können weder den Stau noch den Taifun vorhersehen. In der Ökonomie gibt es, wie auf der Straße, so etwas wie Stauwarnungen; dies sind zum Beispiel die Auftragseingänge. Wenn diese zurückgehen, stehen einige Unternehmen bereits im Stau und andere könnten folgen. Denen, die schon im Stau stehen, kann nicht mehr viel geholfen werden, aber andere können vielleicht noch gewarnt werden und den Stau noch umfahren.
Wie sieht nun das Bild für dieses Jahr aus: Zurzeit gibt es keine Staus, aber der Verkehr läuft auch nicht besonders flüssig. An einigen staugefährdeten Stellen wird intensiv gearbeitet, so dass es hier im Lauf des nächsten Jahres eine deutliche Beschleunigung geben könnte. Sollte es aber im Baubereich zu einem Unfall kommen, ist auch der lange Stau vorprogrammiert: Genaueres dazu kommt in den nächsten Tagen.