Der aktuelle Armutsbericht des paritätischen Wohlfahrtsverbands zeigt, dass die Armut – trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren – zugenommen hat. Das ist bedenklich. Deshalb ist es wichtig, die Entwicklung richtig zu interpretieren und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Haushalte werden als arm klassifiziert, wenn ihnen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen (Median) bedarfsgewichteten Einkommens zur Verfügung steht. Für einen Singlehaushalt liegt die Armutsgefährdungsschwelle bei 892 Euro, für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 1873 Euro. Die Analyse hat für das Jahr 2013 ergeben, dass 15,5 Prozent der Haushalte und 12,5 Millionen Menschen in Deutschland arm sind.
In dem Bericht wird es besonders kritisch gesehen, dass die Armut zugenommen hat, obwohl die Arbeitslosenquote deutlich gesunken ist. In der Presse wurde daraus zum Teil der Schluss gezogen, dass es zu einem Anstieg der Armen unter den Erwerbstätigen gekommen ist. Tatsächlich liegt der Anteil der Armen in dieser Gruppe mit 7,8% deutlich unter dem in der Gesamtbevölkerung. Dabei erscheinen 7,8% noch immer hoch, aber es ist auch zu bedenken, dass Erwerbstätigkeit nur ein paar Arbeitsstunden in der Woche erfordert und nicht etwa Vollzeiterwerbstätigkeit. Insofern gilt, dass Erwerbstätigkeit der beste Schutz vor Armut ist.
Der Bericht zeigt deutlich, dass Erwerbslose mit einer Quote von 58,8% das größte Armutsrisiko tragen. Dabei gibt es sicherlich große Überschneidungen zu den beiden anderen Risikogruppen: Alleinerziehende und Menschen ohne Bildungsabschluss. Diese beiden Bevölkerungsgruppen sind wohl besonders von Armut betroffen, weil sie auch sehr häufig von Erwerbslosigkeit betroffen sind. Gerade unter den Alleinerziehenden wird es auch arme Erwerbstätige geben, was dann häufig auf geringe Arbeitszeiten zurückzuführen ist.
Um die Armut zu reduzieren, müssen insofern die Beschäftigungsmöglichkeiten für Alleinerziehende verbessert werden. Außerdem muss die Zahl der Personen ohne Bildungsabschluss verringert werden und Einstiegsmöglichkeiten für diejenigen, die keinen Abschluss erlangen können, geschaffen werden. Diese Maßnahmen werden sich auch positiv auf zwei andere besonders von Armut betroffene Gruppen auswirken: Kinder und Rentner. Kinder sind besonders von Armut betroffen, weil ihre Eltern arm sind und wenn es gelingt, die Eltern aus der Armut zu bringen, dann werden auch die Kinder nicht mehr arm sein. Rentner sind insbesondere dann von Armut betroffen, wenn sie während ihres Erwerbslebens lange Zeiten nicht erwerbtätig sein konnten. Insofern ist Erwerbstätigkeit auch die beste Methode der Altersarmut vorzubeugen.
Es bleibt die Frage, warum es in den letzten Jahren trotz eines Anstiegs der Erwerbstätigkeit zu einem Anstieg der Armutsquoten gekommen ist. Der Grund ist, dass die Löhne aufgrund der besseren Beschäftigung angestiegen sind. Damit ist auch das durchschnittliche Einkommen gestiegen und zwar stärker als die Transfereinkommen wie Arbeitslosengeld, Harz IV und auch die Renten. Deshalb fällt ein größerer Teil dieser Haushalte jetzt in die Armutskategorie. Zum Teil werden bei den Transfereinkommen zeitverzögert automatische Anpassungen erfolgen, zum Teil wird man sicherlich auch über Anpassungen von Regelsätzen nachdenken müssen.
Die Anmerkungen zum Armutsbericht sind informativ und die Schlussfolgerungen überzeugend, Zweifel habe ich allerdings an der vom Bericht verwendeten Definition von “Armut” für den Sachverhalt zunehmender Einkommensunterschiede in Deutschland.
Lieber Klaus,
vielen Dank für den Kommentar. Ich stimme Dir völlig zu. Es geht eigentlich nicht um Armut, sondern um Ungleichheit: In dem Bericht werden alle als arm definiert, die weniger als 60% des Durchschnittslohns haben. Warum eigentlich der bundesdeutsche Durchschnitt? Warum nicht der europäische Durchschnitt oder der des Bundeslands?
Viele Grüße
Michael
Lieber Michael,
deine Zustimmung zum Kommentar von Klaus Matthies leuchtet mir nicht ganz ein. Wenn das untere Ende einer ungleichen Einkommensverteilung nicht Armut genannt werden, was ist Armut denn dann? Ich glaube schon, dass es sinnvoll ist, sie an einen gesellschaftlich bestimmten Normwert zu messen.
Implizit scheint in euren Aeusserungen die Idee einer “absoluten” Definition zu stecken – wie aber sollte die aussehen und was waere ihre Aussagekraft?
Die von dir aufgeworfene Frage der Bezugsebene hat damit eigentlich nichts zu tun. Natuerlich kann man einen relativen Armutsbegriff auch auf kleinere oder groessere Einheiten beziehen – der Nationalstaat scheint mir aber immer noch die relevanteste Bezugsebene zu sein, auf der Menschen ihre Position mit Anderen vergleichen.
Waehlt man stattdessen die EU, wird sich im uebrigen viel staerker die Frage aufdraengen, ob das Einkommen ueberhaupt der richtige Massstab fuer Armund Reich ist oder nicht vielmehr die Konsum-moeglichkeiten….
Bevor ich nun auf noch mehr Hoelzchen und Stoeckchen komme – viele Gruesse!
Lieber Hugo,
ich glaube schon, dass man Armut sinnvoll absolut oder relativ definieren kann und für beide Abgrenzungen spricht etwas. Für die relative Definition spricht der gesellschaftliche Normwert, den ich auch so akzeptiere. Den richtigen Vergleichswert (national, regional oder international) gibt es dabei wohl nicht – es ist letztlich einfach eine Definition. Bei der Interpretation der so gewonnen Daten muss man dann aber sehr vorsichtig sein. Zum Beispiel hat relative Armut wohl die Implikation, dass sie im konjunkturellen Aufschwung steigt und in der Krise abnimmt. Würde man Armut über eine fixe Grenze absolut definieren, wäre es genau umgekehrt. Dabei würde die Entwicklung einer im Aufschwung zurückgehenden Armut wohl eher der Intuition der meisten Menschen entsprechen.
Viele Grüße
Michael