Die Welt ist gerechter als die Daten zeigen

Die ZEIT berichtet in einer aktuellen Serie über das ökonomische Wissen und ökonomische Einschätzungen von deutschen Bürgern. In der Ausgabe 8/2018 geht es um eine Umfrage, in der die Befragten ihre Position in der Einkommensverteilung einschätzen sollten. Konkret sollten die Befragten angeben, welcher Anteil von Haushalten ein höheres Einkommen zur Verfügung hat. Damit man in der Mitte dieser Rangliste landet, sodass die Hälfte der Haushalte ein höheres Einkommen und die andere Hälfte ein geringeres Einkommen als der eigene Haushalt hat, muss der Haushalt ein Nettoeinkommen von 23.900 Euro im Jahr haben.

Wenn ein Haushalt 39.600 Euro verdient, haben nur noch 20 Prozent der Haushalte mehr und 80 Prozent weniger Einkommen. Mit 50.300 Euro haben dann nur noch 10 Prozent der Haushalte mehr Einkommen und 90 Prozent weniger.
Das Ergebnis zeigt, dass viele Haushalte ihre Position falsch einschätzen, wobei sich die meisten Haushalte dichter an der Mitte wähnen, als sie es sind. In der ZEIT wird als mögliche Begründung für die Fehleinschätzung angeführt, dass die meisten Haushalte sich mit anderen Haushalten vergleichen, die sie kennen und nicht mit der gesamten Gesellschaft. Und da der eigene Bekanntenkreis einem ähnlicher ist als die gesamte Gesellschaft, ordnet man sich eher der Mitte zu.
Das ist sicherlich richtig, aber es gibt andere Gründe, warum sich viele Menschen eher der Mitte zuordnen. Der wesentliche Grund ist, dass das Haushaltseinkommen eines Jahres sehr wenig über die allgemeine gesellschaftliche Position aussagt. Die gesellschaftliche Position bestimmt sich eher durch die Konsummöglichkeiten, also durch das, was sich der Haushalt leisten kann. Dies wird nicht ausschließlich durch das Haushaltseinkommen insgesamt bestimmt, sondern im Wesentlichen durch das Einkommen je Haushaltsmitglied. Außerdem ist relevant, wie sich das Einkommen in den letzten Jahren entwickelt hat und wie es sich zukünftig entwickeln wird. Dies wird an einigen Beispielen deutlich:

1) Studierende oder andere junge Menschen in der Ausbildung haben typischerweise ein sehr geringes Einkommen. Sie können aber davon ausgehen, dass ihr Einkommen in den nächsten Jahren deutlich ansteigt und können deshalb alles was sie haben, für Konsum ausgeben. Somit werden sich Studierende und Auszubildende nicht unbedingt arm fühlen und ihre gesellschaftliche Position eher der Mitte als dem unteren Rand zuordnen.

2) Nach dem Berufseinstieg steigt das Einkommen erheblich und die tatsächliche Entwicklung entspricht zunehmend dem langfristigen zu erwartenden Einkommen. Wenn dann aber Kinder im Haushalt vorhanden sind, gehen die Konsummöglichkeiten wieder zurück. Außerdem muss man sich mit zunehmendem Alter mehr Gedanken um Altersvorsorge machen. Dies reduziert die Konsummöglichkeiten trotz des eventuell hohen Einkommens.

3) Im Rentenalter haben Haushalte wieder vergleichsweise geringe Einkommen. Sie brauchen aber keine weitere Altersvorsorge zu betreiben und können im Gegenteil von den Ersparnissen aus der Vergangenheit profitieren. Ihre Konsummöglichkeiten sinken also nicht in dem Umfang wie das Einkommen.

Wenn Haushalte ihr Position in der Einkommensverteilung an den Konsummöglichkeiten festmachen und nicht am aktuellen Einkommen, werden sie sich zurecht dichter zur Mitte zuordnen, als dies auf Basis des jährlichen Einkommens der Fall ist. Dies bedeutet aber auch, dass eine gewisse Ungleichheit in der Einkommensverteilung einfach auf Ungleichheit der Einkommen im Lebenszyklus zurückzuführen ist. Dies sollte daher natürlich auch bei allen Gerechtigkeits- und Besteuerungsdebatten berücksichtigt werden.

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